1. Samuei 16, 14-23 | Göttinger Predigten im Internet (2024)

Durch Musik zurück ins Leben | Kantate | 07.05.2023 | 1. Samuei 16, 14-23 | Elisabeth Tobaben |

*Hinweis: Nach der Predigt finden Sie einen Kanon zum Wochenspruch.

14Der Geist des Herrn aber wich von Saul, und ein böser Geist vom Herrn verstörte ihn. 15Da sprachen die Knechte Sauls zu ihm: Siehe, ein böser Geist von Gott verstört dich. 16Unser Herr befehle nun seinen Knechten, die vor ihm stehen, dass sie einen Mann suchen, der auf der Harfe gut spielen kann, damit, wenn der böse Geist Gottes über dich kommt, er mit seiner Hand darauf spiele, und es besser mit dir werde. 17Da sprach Saul zu seinen Knechten: Seht nach einem Mann, der des Saitenspiels kundig ist, und bringt ihn zu mir. 18Da antwortete einer der jungen Männer und sprach: Ich habe gesehen einen Sohn Isais, des Bethlehemiters, der ist des Saitenspiels kundig, ein tapferer Mann und tüchtig zum Kampf, verständig in seinen Reden und schön, und der HERR ist mit ihm. 19Da sandte Saul Boten zu Isai und ließ ihm sagen: Sende deinen Sohn David zu mir, der bei den Schafen ist. 20Da nahm Isai einen Esel und Brot und einen Schlauch Wein und ein Ziegenböcklein und sandte es Saul durch seinen Sohn David. 21So kam David zu Saul und diente ihm. Und Saul gewann ihn sehr lieb, und er wurde sein Waffenträger. 22Und Saul sandte zu Isai und ließ ihm sagen: Lass David mir dienen, denn er hat Gnade gefunden vor meinen Augen. 23Wenn nun der Geist Gottes über Saul kam, nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm. (1. Samuel 16, 14-23)

Liebe Gemeinde!

Eine spannende Episode aus der Geschichte Israels und seiner Könige!

Bisher hatten Propheten die Geschicke des Landes bestimmt. Aus direkter Verbindung mit Gott hatten sie das Volk geleitet und beraten, die göttliche Weisung weitergereicht, „sie hatten gerichtet“ sagte man damals.

Samuel ist einer von ihnen, er spielt im Leben der ersten Könige Israels eine wichtige, kaum zu überschätzende Rolle.

Wir stehen hier an einer Umbruchstelle, die Leute waren „auf die Straße gegangen“, wollten ihre Interessen durchsetzen: Sie wollen auch einen König, so wie die anderen Länder um sie herum. Samuel war alt geworden, und seine Söhne kommen als Propheten-Nachfolger nicht in Frage, sie haben andere Interessen und Berufe und scheinen wohl auch ungeeignet gewesen zu sein.

Alle Warnungen werden in den Wind geschlagen, das Volk will einen König, auch wenn das hohe Abgaben bedeuten würde, eine Fülle von Dienstleistungen für das Königshaus, auch durch Knechte, Mägde, Töchter und Söhne,

auch wenn sie aus all diesen Verpflichtungen nicht wieder herauskämen, wenn der König erstmal da ist.

Und so wird Saul der erste König Israels. Er soll ein schöner und großer junger Mann gewesen sein, einen ganzen Kopf größer als alle anderen.

Die Bibel erzählt von einer unspektakulären, nahezu geheimen Salbungsaktion, ganz anders, als wir es von den feierlichen Krönungszeremonien unserer europäischen Königinnen und Könige kennen.

Saul sucht nach den verlorengegangenen Eselinnen seines Vaters, und weil die Suche erfolglos bleibt, wendet er sich hilfesuchend an Samuel. Der verspricht auch Unterstützung, lädt aber erstmal Saul und seinen Knecht zu einem Festessen ein.

„Als die Morgenröte aufging“ heißt es (Kap.9, 26) begleitete der Prophet Saul vor die Stadt, teilte ihm kurz mit, dass Gott ihn, Saul, aus dem winzigen und in den Augen der anderen so wichtigen Volk der Benjameniter, zum König vorgesehen habe. Dann nimmt er ein Füllhorn voll Öl, gießt es Saul über den Kopf und salbt ihn damit zum König. Keine Feierlichkeiten, keine Krönungszeremonie, aber auch keine Chance zum Widerspruch. Saul wird noch nicht einmal gefragt, ob er überhaupt König werden möchte!

Samuel teilt ihm noch mit, dass ihm nun die schwierige Aufgabe übertragen werde, das bedrohliche, aggressive Nachbarvolk der Philister in Schach zu halten.

Saul macht eine großartige militärische Karriere, gewinnt eine Schlacht nach der anderen.

Doch schließlich fällt Saul in Ungnade – für heutiges Verständnis mit einer fragwürdigen Begründung: Er hat die Amalekiter verschont. Gut, das Beste aus der Kriegsbeute haben er und seine Soldaten offenbar auch noch für sich behalten…

Jedenfalls kommt nach der Verwerfung Sauls wieder Samuel ins Spiel, immer noch Prophet, immer noch Vertrauter Gottes, und wieder Königsmacher.

Diesmal: für David.

Samuel wird nach Bethlehem geschickt, und dort kommen nacheinander sieben Brüder der Familie Isai zu ihm, einer stattlicher als der andere. Und doch ist keiner von ihnen der Richtige! Der jüngste, kleinste und unerfahrenste Bruder muss erst noch von der Weide geholt werden, keiner hat daran gedacht, dass er überhaupt in Frage kommen könnte für irgendeine besondere Rolle!

Der Kommentar des Propheten: „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an“. Jugendliche suchen sich den Vers gern als Konfirmationsspruch aus. Gerade in diesem manchmal ganz schön schwierigen Alter verstehen sie gut: Gott kennt auch meine Fähigkeiten, Eigenschaften, Begabungen, auch wenn andere sie erstmal übersehen oder mich ganz falsch einschätzen.

Und wieder wird es auch bei David eine Königssalbung im Verborgenen. Nur die engste Familie ist dabei, und David geht anschließend offenbar einfach zurück zu den Schafen und Ziegen. Er darf in Ruhe erwachsen werden, bis er dem Amt gewachsen ist. Eigentlich. Denn der amtierende König Saul wird krank. Mit hoher Wahrscheinlichkeit leidet er an Depressionen, phasenweise geht es ihm sehr schlecht.

Es kann sich wirklich glücklich schätzen, wer solche Berater hat wie Saul! Sie erkennen den Zustand ihres Chefs, und sie wagen auch, ihn darauf anzusprechen, und einer von ihnen hat sogar eine Idee, was helfen könnte: Musiktherapie!

Jetzt kann man interessante Überlegungen anstellen:

Wie kommt der Knecht zu diesem Vorschlag? Wusste er vielleicht, dass es sich bei David um den Kronprinzen handelte? Und wollte er deswegen vielleicht, dass David möglichst früh mit dem Königshaus in Berührung käme? Zur Ausbildung sozusagen?

Und warum schlägt er Musik als Heilmittel vor? Hat er eigene Erfahrungen gemacht? Hat er David schon spielen gehört und fand die Harfenklänge einfach schön? Oder hat er selbst Trost gefunden in der Musik, im Hören oder Spielen, oder es bei anderen miterlebt?

David hat die Zwischenzeit offenbar gut genutzt und ein Instrument gelernt. Interessant, dass es nicht die Flöte ist, die viele Hirtenjungen spielten, als Orientierung für die Tiere. Den zarteren Tönen einer Harfe kann es vielleicht eher gelingen, einen Menschen in tiefer Dunkelheit vorsichtig zu erreichen, ohne ihn zu erschrecken.

Wenn der alte Text von einem „bösen Geist Gottes“ spricht, ist das ein Versuch, zu beschreiben, was in Saul vorgeht. Wahrscheinlich sieht er keinen Sinn mehr in seinem Leben, kann sich zu nichts aufraffen, alles ist ihm zu viel.

Und David spielt, und spielt, und spielt. Stunde um Stunde, manchmal die halbe Nacht. Leise zuerst, vorsichtig, er horcht darauf, wie es seinem Patienten geht. Weint er? Spricht oder stöhnt er? Liegt er völlig apathisch da?

Als David hört, dass die Atemzüge des Königs ruhiger werden, fängt er leise an zu singen. Er ist ja auch Liedermacher, viele Psalmen sollen aus seiner Feder stammen. Und jetzt fallen ihm fast von selbst seine eigenen Texte ein:

„Der Herr ist mein Hirte …“ (Psalm 23) singt David, und er wiederholt es, einmal und noch einmal, „Der Herr ist mein Hirte“, bis er selbst die beruhigende Wirkung seines Liedes spürt. Er weiß: Im Licht der aufgehenden Sonne wird manches schon wieder leichter aussehen. David ist müde, er merkt, dass Teile der dunklen Gedanken Sauls sich jetzt in ihm selbst wiederfinden. „Ich bin ausgegossen wie Wasser“ dichtet er. (Psalm 22)

Seine Gedanken gehen in die Zukunft. Wie wird es sein, wenn er selbst erstmal König von Israel ist? Zweifel schleichen sich ein. Kann ich das überhaupt? Was hat Gott sich bloß dabei gedacht, mir ein solches Amt zuzumuten?

Sein großer Vorteil: Er spielt ein Instrument! Und er hat gelernt, mit Tönen, Klängen, Liedern seine Gefühle auszudrücken. Er kann Abstand vom Alltag gewinnen, wenn er die Harfe in die Hand nimmt und singt.

Auch Martin Luther war übrigens überzeugt von der therapeutischen Wirkung der Musik. Das geht aus einem Brief an den jungen Kirchenmusikerkollegen Matthias Weller hervor, von dem er gehört hat, dass er an der „Anfechtung der Traurigkeit“ leide und dem er schreibt:

„Wenn ihr traurig seid, und es will überhand nehmen, so sprecht: „Auf, ich muss meinem Herrn Christus ein Lied machen…denn die Schrift lehrt mich, er höre gern fröhlichen Gesang und Saitenspiel“. Und greifet frisch in die Tasten und singet drein, bis die Gedanken vergehen… und kommt der Teufel und gibt euch eure Sorgen oder Gedanken ein, so wehrt euch sprecht: „Aus, Teufel, ich muss jetzt meinem Herrn Christus singen und spielen…“

Nun hat der heutige Sonntag die Musik schon im Namen: Cantate! „Singt dem Herrn ein neues Lied“, sagt der Wochenspruch.

Ich glaube, dass Singen ein Beitrag zum Frieden in der Welt ist. Menschen, die singen, schlagen nicht zu und sie schießen auch nicht. Also: „Singet dem Herrn ein neues Lied“!

Übrigens: Auch ein altes Lied wird ein neues Lied, wenn du es singst, weil es dann zu deinem Lied wird. Manches Mal, wenn wir eins unserer alten Kirchenlieder anstimmen, das uns besonders vertraut ist – dann stellt sich ein besonderes Gefühl ein. Und noch einmal mehr nach der Coronazeit, in der wir in den Gottesdiensten nicht singen durften. Lieder können eine Stimmung zurückholen, aus anderen Situationen, in denen wir es gesungen haben, neue wie alte Lieder. Das ist wie bei einer Erkennungsmelodie, dem Jingle bei einer Radio- oder Fernsehsendung.

Und darüber hinaus können Melodie und Text eine Hoffnung transportieren aus alter Zeit hinein in unsere, und wir finden uns darin wieder. Wir beginnen singend die Hoffnung zu teilen und stehen zugleich in der langen Kette aller, die das Lied gesungen haben, seit es entstanden ist, die sich so ihrer Hoffnung vergewissert haben.

Wir wissen: so wie sie es in ihren Liedern beschreiben, haben Menschen Gottes Wirken an sich selbst und in unserer Welt erfahren. Indem wir diese Lieder singen, teilen wir ein Stück ihrer Geschichte, stellen uns hinein in ihre Erfahrung, leihen uns quasi ihre Worte und Töne aus; in der Hoffnung, auch für das eigene Erleben eine Deutung und Hoffnung für die Zukunft zu finden.

Das stärkt und vertieft die Zusammengehörigkeit untereinander. In manchen Augenblicken erleben wir das in unseren Kirchen dann am stärksten, wenn viele gemeinsam mit Mut singen, wenn sich die Zaghaften anstecken lassen von denen, die sich trauen, ihre Stimme zu erheben und sich die Kirche mit unserem Gesang füllt. Dann tragen unsere Stimmen das Lied und wir werden getragen von unserm Lied.

Dann gewinnt unser Gotteslob an Kraft, so wie damals, als David mit seiner Musik und seinem Lied Trost und Zuversicht in Saul wecken konnte.

„Ich möchte wie Orpheus singen, dem es einst gelang, Felsen selbst zum Weinen bringen durch seinen Gesang“, singt Reinhard Mey. An Felsen müssen wir uns gar nicht versuchen. Aber im Singen können wir dazu beitragen, dass Hoffnung und Gottvertrauen wachsen, bei uns selbst und anderen, dass Menschen zuversichtlicher werden – wie Saul – und zurückfinden in ein neues Leben.

Amen.

Wochenspruchkanon Jubilate und Kantate

Elisabeth Tobaben, Pastorin i.R., Juist

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Author: Arline Emard IV

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